(Ex 16, 2–4.12–15; Eph 4, 17.20–24; Joh 6, 24–35)
Liebe Schwestern und Brüder,
die meisten von uns wissen, dass veränderte Einstellungen und Lebensweisen für Kirche, Gesellschaft und Welt im wahrsten Sinne des Wortes not-wendig sind. Die meisten von uns wissen auch, wie schwer Veränderung sein kann, wie sehr wir uns manchmal vor Veränderung fürchten. Zu sehr verbinden wir damit Verlust und eine geringere Lebensqualität. Doch oft ist es so, dass uns die Angst mindestens auf einem Auge blind gemacht hat. Denn in Wahrheit erfahren wir schon Verlust und spüren im tiefsten, dass die erträumte Lebensqualität mit der realen gar nicht mehr standhält. Tatsächlich zwingt uns manchmal erst das Leben, Veränderungen zuzulassen. Und plötzlich erscheint uns das „alte Gewand“ gar nicht mehr so erstrebenswert, ja wird einem deutlich, dass das alte eher Gefangenschaft, denn Befreiung oder Freiheit war.
Exodus, also Auszug, ist ein zentrales Symbol israelitischer Befreiungserfahrung. Aber eigentlich ist es ein Symbol menschlicher Befreiungserfahrung. Dieses Thema wird oft literarisch und filmisch aufgegriffen, wenn auch nicht in einer platten, religiösen Weise, die die Bibel als Drehbuch wortwörtlich benutzt. Anders gesprochen, ist Exodus eine Befreiung aus neurotischen privaten und gesellschaftlichen Verhaltensweisen. Diese werden aufgebrochen und nötigen zum Aufbruch, innerlich wie äußerlich. Da wird mit gewohnten Denk- und Verhaltensweisen gebrochen. Aber die erhoffte und ersehnte Freiheit und Befreiung ist nicht einfach da, sondern ein langer, oft schmerzlicher, Prozess. Da bekommt man leicht Angst vor der eigenen Courage und möchte am liebsten wieder in das Alte und Gewohnte zurück, in alte Pseudosicherheiten, auch wenn das Gefangenschaft bedeutet und die Aufgabe seiner selbst. Gott aber will Befreiungsgeschichten in Gang setzen, neues Denken, Fühlen und Verhalten ermöglichen, damit Lebensqualität wirklich stattfindet und zwar für alle, für Menschen, Geschöpfe und die Mutter Erde. Da wird „weniger“ in jeder Hinsicht „mehr“ und nicht Verlust sein. Da wird die Frage, was uns wirklich trägt, wenn uns alte Felle davonschwimmen, nicht mehr verboten sein. Da wagen Gläubige wieder mehr Vertrauen, da erfahren alle in der Bedrängnis, wie kostbar das Leben ist und fast alles Geschenk, für das man nur danken kann. Da hat man am Ende vielleicht Einiges verloren, aber ganz neue Freiheiten und Lebensqualitäten gefunden.
Die sich um Glauben Mühenden werden Gott danken, der sich als der „ICH BIN DA“ erweist in so vielen, kleinen Kostbarkeiten des Lebens. Menschen ohne ausdrücklichen Gottesbezug kommen möglicherweise zum gleichen Ergebnis, das sie als Geschenk erfahren. Und so heißen die „neuen Gewänder“, die uns verbinden, Dankbarkeit, Vertrauen, das Gefühl der Verbundenheit mit allen und allem und ein bisschen mehr Demut. Für uns ist klar: „Das ist das Brot, das der Herr uns zu essen gab!“ (Ex 16,15) Darum konnte Jesus von sich sagen: „Ich bin das Brot des Lebens!“ (Joh 6, 35), denn er war diese Haltung und Gottes Nähe in Person. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)