(1 Kön 19, 4–8; Eph 4, 30–5,2; Joh 6, 41–51)
Liebe Schwestern und Brüder,
es scheint heutzutage viele Arten von Jägern zu geben. Die meisten tragen keine Schusswaffen. Ihre Waffen sind in der Regel ihre Zunge oder es sind ihre Hände, die eine Waffe bedienen, die Tastatur heißt. Diese Waffen sind nicht weniger verletzend und tödlich als jene, wo vorne eine Kugel herauskommt. So gibt es auch Jäger, die Plagiatsjäger heißen und in Doktorarbeiten von Prominenten nach Zitaten suchen, die nicht als solche gekennzeichnet sind. Das hätten eigentlich jene Unis tun müssen, die diese Arbeiten angenommen haben. Aber sie konnten diese Arbeiten vielleicht noch nicht so genau lesen bzw. hatten noch nicht die technischen Mittel, um nach solchen Fehlern zu suchen.
Unter den Bibelwissenschaftlern gibt es auch solche, die man als Plagiatsjäger bezeichnen könnte, weil sie untersuchen, ob eine Schrift wirklich vom behaupteten Verfasser stammen kann. So hat man festgestellt, dass z.B. der Epheserbrief sprachlich, historisch und theologisch den hl. Paulus nicht als Verfasser haben kann. Das betrifft noch fünf andere Briefe, die dem hl. Paulus zugeschrieben werden, aber nicht von ihm sein können. Im heutigen Kontext wäre das schon ein starkes Stück, in der Antike aber nicht. Man nennt das „Pseudepigraphie“. Der Name „Paulus“ war um 90 n.Ch. natürlich eine Autorität. Die wollte der unbekannte Verfasser des Epheserbriefes nutzen, um die Wichtigkeit und Verbindlichkeit seines Briefes zu unterstreichen. Vielleicht kann man das ein bisschen mit jenen vergleichen, die für andere Reden schreiben. Aber egal, letztlich kommt es auf den Inhalt an und der ist im Falle des Epheserbriefes heute ganz göttlich, jesuanisch, und wenn man so will, auch ganz paulinisch. Nicht schöner kann man den Willen Gottes und die Botschaft Jesu mit dem Satz zusammenfassen: „Führt euer Leben in Liebe.“ (Eph 4, 5.2)
Das ist natürlich sehr allgemein gefasst und gesagt, und manchmal bleibt es einfach bei dem Lippenbekenntnis. So werden uns gleich drei Aspekte dieser Liebe mitgeliefert: „Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander.“ (Eph 4, 32) Das wollen natürlich die eingangs erwähnten Jäger gar nicht hören, denn in der Regel sind sie nicht gütig, noch barmherzig und von Vergebung halten sie auch nichts. Sollten sie sich gläubig oder religiös nennen, haben sie natürlich mit Gott nichts zu tun. Denn es heißt auch: „Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder“. (Eph 4, 5.1)
Wenn wir ehrlich sein wollen, und das wollen wir ja, müssen wir bekennen, dass uns das Jägersein doch oft mehr liegt als die anstrengende Liebe, wenn sie konkret wird. Lassen wir uns nicht entmutigen, wenn wir nicht allzu nahe an unsere hehren, christlichen Ziele herankommen. Tun wir in aller Ehrlichkeit und mit der Liebe, die uns geschenkt ist, das, was uns möglich ist. Dann werden wir schon ein bisschen jenen Gott nachahmen, der in seiner Liebe sowieso unübertrefflich ist. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)