27. Sonn­tag im Jah­res­kreis (03.10.2021)

(Gen 2, 18–24; Hebr 2, 9–11; Mk 10, 2–16)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
Te­re­sa von Ávila schrieb ein­mal: „Gott al­lein ge­nügt!“ War­um aber muss Gott heu­te im 2. Schöp­fungs­be­richt fest­stel­len, dass es nicht gut sei, wenn der Mensch al­lein ist? Der Mensch hat­te doch Gott, in dem wir erst ganz un­ser Ge­nü­gen fin­den sol­len?! Be­vor wir wei­ter ei­ni­gen Fra­gen zum Schöp­fungs­be­richt nach­ge­hen, möch­te ich noch ein­mal aus­drück­lich dar­an er­in­nern, dass die­se Ge­schich­te kein Film­aus­schnitt des An­fangs, son­dern ei­ne theo­lo­gi­sche Deu­tungs­ge­schich­te ist, die ge­gen­wär­ti­ge Er­fah­rung in ei­nem gläu­bi­gen Ge­samt­zu­sam­men­hang stel­len will. Ich er­war­te ja von ei­nem Te­le­fon­buch nicht, dass es Bio­gra­fien von Men­schen ent­hält. So ist es auch mit der Bi­bel, die nicht vor­ran­gig his­to­ri­sche Er­eig­nis­se, son­dern Glau­bens­ge­schich­ten ent­hält und Le­ben zu deu­ten ver­sucht.
Der Schöp­fungs­be­richt, den wir heu­te hör­ten, ent­hält vie­le, tief­sin­ni­ge Weis­hei­ten. Als ers­tes ha­ben wir al­so ge­hört, dass dem Men­schen Gott al­lein nicht ge­nügt. Das hat nicht der Mensch, son­dern Gott sel­ber fest­ge­stellt. Gott ist viel­leicht für den Men­schen und sein Be­zie­hungs­be­dürf­nis ei­ne Num­mer zu groß. Der Mensch, im He­bräi­schen „Adam“ ge­nannt, ist noch kein Mann, son­dern eben ein Mensch. Er braucht ei­ne Hil­fe, die nicht ei­ne Hilfs­kraft oder Putz­hil­fe, son­dern ein hilf­rei­ches, be­glü­cken­des und eben­bür­ti­ges Ge­gen­über ist, das man an­schau­en, be­rüh­ren und mit dem man re­den kann. Es geht in die­sem Schöp­fungs­be­richt nicht um die Ehe, son­dern um die tiefs­te Be­zie­hungs­sehn­sucht des Men­schen, die hier ex­em­pla­risch an Mann und Frau fest­ge­macht wird. Der Mensch, al­so Adam, dif­fe­ren­ziert sich erst in Mann und Frau, als er sich mit Got­tes Hil­fe durch die Frau als Be­zie­hungs­we­sen er­fährt. Die „Rip­pe“ be­deu­tet hier nicht Min­der­wer­tig­keit, son­dern ge­nau das Ge­gen­teil, näm­lich We­sens­ver­wandt­schaft. Und wie wir zu­dem wis­sen, schüt­zen Rip­pen das Herz. Fehlt aber ei­ne Rip­pe, dann ist das Herz ver­letz­lich, wie eben bei al­ler Be­zie­hung und Lie­be. Auch hier steht im He­bräi­schen ei­gent­lich nicht Rip­pe, son­dern Bau­teil. Viel­leicht hat dann Gott ein­fach das Herz ge­teilt, wer weiß?
Kom­plett un­sin­nig und un­ver­ständ­lich im Deut­schen klingt: „Frau soll sie ge­nannt wer­den, denn vom Mann ist sie ge­nom­men“ (V23). Denn die he­bräi­schen Wor­te für Mann und Frau sol­len auch hier We­sens­ver­wandt­schaft sprach­lich zum Aus­druck brin­gen. Denn im He­bräi­schen heißt Mann „Isch“ und Frau „Ischah“. Bis in die Spra­che hin­ein soll al­so deut­lich wer­den, wie sehr Isch und Ischah zu­sam­men­ge­hö­ren. Al­le Über­le­gung, wer hier mehr oder we­ni­ger wert ist, wer zu­erst ge­schaf­fen wur­de oder nicht, hat mit dem Text nichts zu tun und un­ter­gräbt schon, wie Gott es von An­fang an ge­dacht hat.
Die­se tie­fe, ge­mein­sa­me Be­zo­gen­heit von An­fang an be­zieht sich eben nicht nur auf die Ehe, son­dern auf al­le Le­bens­be­rei­che in Kir­che und Welt, wo Frau­en und Män­ner zu­sam­men und eben­bür­tig mit­ein­an­der ar­bei­ten und le­ben sol­len. So hat es Gott von An­fang an ge­wollt, und dar­um soll der Mensch nicht tren­nen, was Gott für al­le Be­rei­che des Le­bens ver­bun­den hat. Es gilt so­gar, dass Mann und Frau nur zu­sam­men Eben­bild Got­tes sein kön­nen, der sel­ber zu­tiefst ein Be­zie­hungs­ge­heim­nis ist. Dar­um ist fol­ge­rich­tig die Lie­be das obers­te Ge­bot, weil sie in al­len Be­zie­hungs­ebe­nen, auch struk­tu­rell, zum Tra­gen kom­men und Ver­än­de­rung be­wir­ken soll.
So sim­pel ist der Schöp­fungs­be­richt al­so nicht, wie ihn man­che le­sen wol­len. Da steckt wirk­lich viel Tie­fe drin, die noch heu­te das Po­ten­ti­al zu re­vo­lu­tio­nä­ren Ver­än­de­run­gen hat.
Und was sol­len die Kin­der heu­te noch im Evan­ge­li­um zu die­sem The­ma sa­gen? Sie zei­gen, wie sehr wir von lie­be­vol­len Be­zie­hun­gen le­ben und dass wir al­le be­zie­hungs­be­dürf­ti­ge We­sen sind und blei­ben. Wer das nicht wahr­ha­ben will, wird sei­nem We­sen, an­de­ren Men­schen und auch Gott nicht ge­recht. Ein­mal mehr sind Kin­der hier Sa­kra­men­te für ein got­ter­füll­tes Le­ben. Oh­ne ih­re we­sen­haf­te Grund­bot­schaft wer­den wir we­der zu uns selbst, noch zu­ein­an­der, noch zu Gott fin­den kön­nen. Dar­um „nahm Je­sus die Kin­der in sei­ne Ar­me; leg­te er ih­nen die Hän­de auf und seg­ne­te sie.“ (Mk 10, 16) Wie hieß es noch ein­mal bei Te­re­sa von Ávila? „Gott al­lein ge­nügt!“ Wenn Gott die Lie­be ist, dann heißt das: „Die Lie­be al­lein ge­nügt!“ Und das stimmt dann am En­de doch. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)