(1 Sam 1, 20–22.24–28; Kol 3, 12–21; Lk 2, 41–52)
Liebe Schwestern und Brüder,
„Herr, unser Gott, in der Heiligen Familie hast du uns ein leuchtendes Vorbild geschenkt“, so heißt es am Anfang des Tagesgebetes zum heutigen Fest. Mit „Heiliger Familie“ meint man Maria, Josef und Jesus. Aber was ist bei dieser Familie eigentlich das „leuchtende Vorbild“? Nur die Evangelisten Matthäus und Lukas erzählen so etwas wie eine Familiengeschichte, eine Kindheitsgeschichte Jesu. Allerdings sind sie theologisch konstruiert und kein Rückblick auf die historische Familie, in die Jesus hineingeboren wurde. Denn von dieser wissen wir so gut wie gar nix. Wir müssen uns also auf das beschränken, was uns im Zweiten Testament überliefert ist. Natürlich möchte ich mich dabei nicht nur auf das beschränken, was auch in dieser Familie problematisch, schwierig und schmerzvoll war. Darauf will sich keine Familie reduzieren lassen. Vermutlich war auch die Heilige Familie eine ganz normale Familie ihrer Zeit. Und natürlich wollen wir „Familie“ auch nicht nur auf Vater, Mutter, Kind reduzieren, schon gar nicht heute, wo es so viele, unterschiedliche Formen von gemeinsamen Leben und Familie gibt. Laut Umfragen ist den meisten Menschen Familie sehr wichtig, nicht die Form, sondern das Eingebundensein in verbindliche und liebevolle Beziehungen. Auch da muss man das nicht auf die sog. „Kernfamilie“ reduzieren. Denn „Familie“ kann ein Beziehungsnetz sein, das nicht primär von Blutsverwandten, sondern von Geistverwandten geknüpft wird. Laut Zweiten Testament hat Jesus eher diese Form von Familie bevorzugt, weil ihn seine Blutsfamilie eher nicht verstanden und sogar für verrückt gehalten hat (vgl. Mk 3, 31ff und Mk 3, 21). Die Qualität einer Familie und Gemeinschaft wird ja nicht durch die Form, sondern durch eine liebevolle Grundhaltung erreicht. Diese macht jede Gemeinschaft und Familie heilig, weil Liebe das wichtigste Kriterium für Gottes Gegenwart ist. Dabei ist Liebe nicht nur ein schönes Gefühl, nicht nur glückliche Ekstase, sondern, wie wir alle wissen, auch lebenslange und nicht selten schmerzvolle Verantwortung füreinander und ein Mitleiden und Mitfreuen. Eltern wissen, dass sie mit dem Erwachsenwerden ihrer Kinder die Verantwortung für sie nicht los sind. Sicher heißt ihre Verantwortung dann auch los- und freilassen, was nie so leicht gelebt, wie gesagt und versprochen ist. Aber im günstigsten Fall können sich Kinder immer auf die Zuneigung ihrer Eltern verlassen. Und das gilt für jede Form von Familie und Gemeinschaft. Darum bittet das Tagesgebet zu Recht um die Gnade!, dass Familien „einander in der Liebe verbunden bleiben“, auch und gerade dann, wenn Wege sich trennen.
Wenn es am Ende des Tagesgebetes heißt: „Führe uns alle zur ewigen Gemeinschaft in deinem Vaterhaus“, dann müssen wir uns alle, kirchlich, religiös oder nicht, als eine große Gottesfamilie begreifen. Denn Gott selber ist ja eine unendliche Liebesfamilie, die überall da aufleuchtet und anwesend ist, wo Menschen so etwas wie „Familie“ zu leben und zu geben versuchen. Ich wünsche uns allen „Familie“, die uns trägt, die wir mittragen, die heilig ist, die guttut und uns in unserem Menschsein wachsen und reifen lässt. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)