(Jes 43, 16–21; Phil 3, 8–14; Joh 8, 1–11)
Liebe Schwestern und Brüder,
das lateinische Wort „Misereor“ heißt „Erbarmen“. Dieses Wort durchzieht heute unsere biblischen Texte. Dieses Wort schreit geradezu danach, ein Tätigkeitswort zu sein und zu werden in einer Welt, die manchmal so hoffnungslos die Tugend des Erbarmens vermissen lässt. Manchmal haben wir echt keine Ahnung mehr, wie es eigentlich weitergehen soll. Auch die Israeliten im babylonischen Exil hatten keine Hoffnung auf Veränderung ihrer Situation mehr. In diese Situation spricht der Prophet Jesaja im Namen Gottes Zukunft und Erbarmen zu. Solche Propheten haben Menschen zu allen Zeiten nötig, auch die Menschen unserer Zeit, weil nur eine kraftvolle Hoffnung konkrete Schritte aus allgemeinen Gelähmtheiten fördern und ermöglichen kann.
Die Bilder der Ermutigung, die Jesaja verwendet, sind großartig. Seine Worte wollen ermutigen, nicht in der Vergangenheit kleben, nicht in der Dauerschleife von Schuldbekenntnissen stecken zu bleiben, sondern im Namen Gottes aufzubrechen und neues Leben, neue Wege, neues Denken zu wagen. Freilich gibt es immer viele, die einem in nicht erkannter Selbstgerechtigkeit einen Neuanfang nicht gönnen. Das Wunder im Evangelium ist doch, dass tatsächlich alle Ankläger einsehen, selber nicht schuldlos zu sein. Wie viele sind dazu gerade auch heute nicht in der Lage! Diese sicher ein zu selbstgerechtes Selbstbild demütigende Selbsterkenntnis nimmt aber jegliche Basis, den großen und erbarmungslosen Richter und Verurteiler spielen zu können. Auch Jesus sagt zu der angeklagten Frau Worte tröstlicher Zukunftsermöglichung: „Auch ich verurteile dich nicht!“ (Joh 8,11). Er legt uns nicht erbarmungslos auf Vergangenes fest. Das ist nie im Sinne Gottes. Selbst das „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ ist nicht zuerst eine Mahnung, sondern eine Verheißung. Sie besagt ja nicht, dass wir keine Fehler mehr machen werden. Sie ermutigt nur, nicht immer wieder dieselben Fehler zu machen.
Gerade im Bezug auf den Klimawandel sollten wir uns von Jesus sagen lassen: „Geht und lebt mehr aus Gottes liebevollem Geist, der sich mit allen und allem in großer Tiefe verbunden fühlt. Diese Zusage und nicht Verurteilungen führen eher zu verändertem Verhalten, das lebensförderlicher, gerechter und barmherziger sein wird. Das ist das Neue, das Gott selber will und schafft.
Auch Paulus will nicht in seiner pathologischen Vergangenheit stecken bleiben, in einem Leben, das vorrangig aus Selbstgerechtigkeit und Selbstrechtfertigungen bestand. Das führte ja auch am Ende zu Mord und Totschlag, wie wir wissen. Auch er erfuhr einen unverhofften Neuanfang durch Gott, der ihn aus der Selbstgerechtigkeit befreite und ihm einen Neuanfang schenkte, auf der Basis von Vertrauen, Dankbarkeit und Gerechtigkeit, die nicht selbst gemacht, sondern durch Gottes Liebe geschenkt ist.
Mögen wir alle und möglichst viele Menschen in diese gottgeschenkte Haltung hineinverwandelt werden, in ein neues Miteinander, das Gott, die Menschen, die Geschöpfe und unsere Mutter Erde einschließt. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)