(Jes 50, 4–7; Phil 2, 6–11; Lk 19, 28–40)
Liebe Schwestern und Brüder,
der Palmsonntag steht ganz im Zeichen des Einzugs Jesu in Jerusalem. Durch das Lesen der Passion aber tritt er völlig in den Hintergrund und wird schon ein Stück Karfreitag vorweggenommen. Ich halte das nicht für angemessen und empfinde diesen Sonntag darum mit der Passion zu überladen. Ich verstehe ja, dass man gerne auch jene Passion zu Gehör bringen möchte, die im konkreten Lesejahr dran ist. Und das ist im Lesejahr C die Passion des Evangelisten Lukas. Aber warum muss es am Karfreitag immer nur die Johannespassion sein, die für mich in ihrem pauschalen Sprechen von den Gegnern Jesu als “die Juden” doch sehr stark antisemitisch missverstanden werden kann?! Und natürlich stirbt hier Jesus ziemlich souverän am Kreuz, was wohl der Realität der Kreuzigung nicht angemessen scheint. Ich würde also empfehlen, die Passion am Palmsonntag wegzulassen und sie stattdessen am Karfreitag zu lesen, damit der Palmsonntag das bleibt, was er sein möchte, nämlich die Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem.
Was ich an Jesus immer wieder am meisten, und so auch heute, bewundere, ist seine Freiheit, seinen eigenen Weg konsequent zu gehen.
Wie groß ist doch immer wieder die Versuchung, um des lieben Friedens willen oder um die Erwartungen anderer nicht zu enttäuschen, nicht mehr auf sein Herz zu hören und entgegen eigener, tiefster Überzeugungen zu handeln! Wer würde es denn nicht toll finden, so begeistert begrüßt zu werden, wie Jesus heute bei seinem Einzug in Jerusalem? Allerdings kann es kaum einen größeren Widerspruch zwischen Esel und Hosannarufen und Palmzweigen geben, als es heute im Evangelium zu hören bzw. zu lesen ist.
Ich könnte mir gut vorstellen, wie unangenehm Jesus selber in diesem Augenblick diese ganze Hosiannabegeisterung war. Freilich kann man in diese Szene schon das Bekenntnis zu Jesus als den demütigen Friedenskönig hineinlesen. Aber schmerzlich ist es für Jesus und Gott schon, immer wieder zu erfahren, wie sehr sie in falschen Erwartungen, Bildern und Vorurteilen gefangengenommen werden. Darum ist es ja auch heutzutage so leicht, aus eben noch begeisterten Hosannarufen ein “Kreuzige ihn oder sie” zu machen, nur weil man nicht bereit war, dem Mainstream oder falschen Erwartungen zu entsprechen.
Ich glaube darum, dass heute am Palmsonntag Jesus gerade jene etwas trösten möchte, denen es genauso ergeht, wie Jesus selbst. Ich bin so froh, dass Jesus so konsequent am Weg der Liebe festgehalten hat bis zum bitteren Ende der Kreuzigung. Gott sei Dank, wissen wir, dass Gott diesen Weg in der Auferstehung Jesu bestätigt hat.
Ich wünsche allen Menschen jenen Mut und jene Kraft, ihren tiefsten Überzeugungen zu folgen, wie Jesus es getan hat. Für uns als Christen ist es immer wieder auch der Auftrag, Jesus auf dem Weg der Liebe zu folgen in Kirche und Gesellschaft, auch wenn uns die Liebe, die uns eben noch gekrönt hat, von Zeit zu Zeit auch kreuzigt, wie es der libanesische Dichter Khalil Gibran formuliert hat: “Wo die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich auch!”
Diese Liebe Jesu feiern wir heute, feiern wir in der Karwoche, feiern wir Ostern und am besten Tag für Tag. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)