(Ex 3+4; 1 Kön 19, 1–16; Jes 55, 1–11; Röm 6, 3–11; Lk 24, 1–12)
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ein Mensch versucht, an das Geheimnis Gottes zu glauben, sich auf dieses einzulassen und es wirklich in das Leben einzulassen, dann ist Ostern so überraschend nicht. Das Osterwunder beginnt ja nicht erst nach dem Tod, sondern bereits vorher. Ist der Beginn des Lebens, wo sich zwei winzige Zellen umarmen und zu einem einmaligen Wesen entwickeln, nicht genauso wunderbar, wie die Osterbotschaft? Ist nicht überhaupt unsere Erde und die Entstehung des Lebens auf ihr und in der Milchstraße ein einziges Wunder? Umso verwunderlicher ist ja immer wieder, wie wir Menschen mit diesem Wundermeer umgehen! Warum ist das eigentlich so? Ehrlich gesagt, verstehe ich es nicht. Die Ikone Gottes, Jesus genannt, war nicht die Antwort auf alle Fragen, wohl aber eine Antwort auf die Frage, was das tiefste Wesen Gottes und unseres Universums ausmacht, trotz all‘ der Dinge, die diese Antwort immer wieder in Frage stellen. Diese Antwort lautet: das Geheimnis Gottes und des Universums ist Liebe. So steht es ausdrücklich im 1. Johannesbrief (1 Joh 4,8). Genau das wollten auch die biblischen Texte von heute zum Ausdruck bringen, nicht nur das Osterevangelium. Die Texte aus dem 1. Testament bekennen genauso einen Gott der Liebe, einer Liebe, die nicht nur wort‑, sondern tatenreich ist. Gott ist es, der sich als liebevoll und befreiend in Erfahrung bringt. Er befreit eben nicht nur nachösterlich, nicht nur aus der Dunkelheit und Unbegreiflichkeit des Todes, er befreit schon vor dem Tod zu mehr Leben und Liebe. Das alles sind Ostererfahrungen, die jeder von uns machen kann, die jeder von uns erwarten darf, ja, an denen uns Gott erlaubt, mitzuwirken. Solche Befreiungserfahrungen und die Erfahrung von geschenkter, bedingungsloser Liebe öffnen in der Regel die Augen für eine Liebe, die allem zugrunde liegt. Sie entzündet einem selbst, trotz allem und in allem geradezu trotzig, an die Liebe zu glauben, Lichter der Liebe zu entzünden und seien sie noch so klein. Nur so können Steine von Herzen rollen und aus vermauerten Leben verschwinden. Die Liebe macht hellhörig, auf die leise Stimme der liebevollen Gegenwart Gottes zu lauschen. Sie lässt uns umkehren, das Leben, den Lebenden, nicht bei Totem und bei Toten zu suchen.
Freilich gibt es immer genug Leute, die das für realitätsfremdes Geschwätz halten, die liebevolle Menschen einschüchtern mit ihrer lauten und oft gewalttätigen Gegenwart. Das hat ja nicht zuletzt jener erfahren, dessen Auferweckung wir heute feiern. Diese Auferweckung bestätigt von Gott her, dass die Liebe recht hat, dass sie Wunder wirkt vor und nach dem Tod. Dass sie in alle Ewigkeit bleibt.
Sie beendet nicht alle Dunkelheit, beantwortet nicht alle Fragen, beendet nicht alle Sorgen, Nöte und Ängste. Aber sie macht das Herz wieder österlicher, und zwar nicht nur das eigene.
Was Erich Fried zur Liebe schrieb, das gilt darum auch für Ostern. Er soll darum das „Amen“ zu dieser Osterpredigt sein:
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
(Erich Fried)
Im Namen des Homepage-Teams Ihnen und euch allen ein gesegnetes, licht- und liebevolles Osterfest!
(P. Thomas Röhr OCT)