(Apg 7, 55–60; Offb 22, 12–14.16–17.20; Joh 17, 20–26)
Liebe Schwestern und Brüder,
man fragt sich schon, warum sich die Leute so aufregen, wenn Stephanus, erfüllt vom Heiligen Geist, den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen sieht (Apg, 7, 56)? Nun, gewöhnlich erscheint uns der Himmel so offen nicht, vielleicht in besonderen Momenten. Zudem verbauen Religionen oft den offenen Himmel mit vielen Geboten und Verboten, stellen sie Bedingungen auf, mit deren Erfüllung man sich die Chance auf einen offenen Himmel wahren kann. Letztendlich hat man aus dem Himmel wieder ein Geschäftsmodell gemacht, der nur solchen offensteht, die sich anstrengen und dafür auch was leisten. Klar, dass alle, die sich den offenen Himmel was kosten lassen, nicht so begeistert sind, wenn da einer einfach so den Himmel offen sieht. Es ist auch kein Zufall, dass Stephanus den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen sieht. Jesus hat sich gern als „Menschensohn“ bezeichnet und darin auch seine Nähe zu den Menschen zum Ausdruck gebracht. Durch seine bedingungslose Liebe gerade zu sog. „Zöllnern und Sündern“, also Leuten, denen man alle Chancen absprach, einen offenen Himmel zu sehen, geschweige denn hineinzukommen, denen hat Jesus den Himmel geöffnet und religiöse Geschäftsmodelle mit ihm über den Haufen geworfen. Kein Wunder, dass das auch seinen Beliebtheitsgrad bei Leistungsträgern nicht gefördert hat. Ist ja auch verständlich, wenn man seine Lebensleistung dadurch in Frage gestellt sieht. Auch das müssen wir zu verstehen versuchen.
Die Kreuzigung Jesu war sozusagen erst einmal das Scheitern des Anliegens Jesu und die Bestätigung für all‘ seine Gegner, dass Jesus Unrecht gehabt haben muss und von Gott verworfen war. Und nun soll in den Augen des Stephanus ausgerechnet dieser Jesus, dieser wahre Menschenbruder, zur Rechten Gottes stehen, also im antiken Verständnis auf der Glücks- und Ehrenseite! Für dieses Bekenntnis zum offenen Himmel und zu Jesus als Menschensohn zur Rechten Gottes, musste er sterben. Wir müssen es heutzutage deswegen nicht mehr. Aber erfüllt vom Heiligen Geist, sollten auch wir den Himmel offen für alle sehen, die durch den Geist Jesu Menschensöhne und Menschentöchter sind. Es sind Menschen, die, wie Jesus, bedingungslos zu lieben versuchen und so den Himmel für viele Menschen und Geschöpfe offen halten.
Wollen wir wirklich um diesen Geist bitten?
(P. Thomas Röhr OCT)