(Jes 9, 1–6; Tit 3, 4–7; Lk 2, 1–14)
Liebe Schwestern und Brüder,
Weihnachten ist ein Fest, das emotional sehr aufgeladen ist und mit Erwartungen beschwert, die mit vielen Ängsten und zwiespältigen Gefühlen verbunden sind. Darum entziehen sich viele auch gänzlich den Feierlichkeiten. Es stimmt schon: so, wie wir Weihnachten gewöhnlich feiern, hat es nicht viel mit dem zu tun, was dieses Fest uns Tröstliches ins Herz schreiben will. Trotzdem kann ich das Bedürfnis verstehen, an Weihnachten etwas heilere Welt spielen zu wollen, wo doch die Welt oft so unheil erscheint und ist. Ich denke, dass sogar Gott selber Verständnis dafür hat.
Wenn man sich das erst einmal ehrlich eingestehen würde, dann könnte das schon mal eine Menge Druck herausnehmen. Wenn Gott Freude an dem Spiel einer heilen Welt hätte, würde er ja mitspielen. Tut er aber nicht. Eigentlich ent-täuscht er sogar alle Erwartungen in dieser Richtung. Und überhaupt ent-täuscht er bis heute auf ganzer Linie. Denn im Grunde genommen können wir theologisch wie praktisch nicht wirklich viel mit Weihnachten anfangen. Wir wollen einen allmächtigen Gott und er kommt als bedürftiges Kind daher. Wir wollen klare und saubere Verhältnisse und er kommt im provisorischen und wenig geruchsfreundlichen Ambiente bei uns an. Wir wollen ihn in „ewige Wahrheiten“ einwickeln, er bevorzugt Windeln, die man immer wieder waschen bzw. erneuern muss. Wir wollen gleich perfekte und tadellose Heilige sein, er wird erst einmal Mensch und lädt zur Menschwerdung ein. Der Engel fliegt nicht in die religiöse Zentrale zu den sog. „Stellvertretern Gottes“, sondern zu den Hirten, die in der dunklen Nacht bei ihren Schafen wachen und bleiben.
Gottes Botschaft seiner liebevollen und zärtlichen Nähe gilt den normalen Menschen, gilt den normalen Umständen, dem wirklichen und nicht dem erträumten Leben. Da soll unspektakulär und wie nebenbei Weihnachten stattfinden, ohne große Gefühle und eine illusionäre Stimmung, die man in der Regel nur mit Mühe aufrecht erhalten kann. Meistens ist dann Weihnachten gar nicht an Weihnachten und braucht dazu auch keinen Weihnachtsbaum, keine süßen Krippenspiele und Schnee.
Alle also, denen in diesen Tagen vielleicht etwas mulmig zumute ist, die ihren Weihnachtsstress (meistens der Mütter und Frauen), ihre Sorgen, Nöte und Ängste, ihre ganze Sehnsucht nach etwas Liebe und Heil nicht einfach so loswerden können – ihnen allen gilt das weihnachtliche „Fürchtet euch nicht!“, das der Engel zu den Hirten sagt. Aus all‘ diesen oft schmerzlichen Erfahrungen will uns das Kind heute anlächeln und uns sagen: Ich bin da! Du brauchst nicht aus der sog. „Realität“ fliehen, weil genau da mein Weihnachten für dich ist. Ich hab Verständnis, wenn du es trotzdem tust. Ich komme mit, überall hin, vor allem will ich da sein, wenn dich die sog. „Realität“ wieder einholt. Ich und meine liebevolle Nähe sind seit heute auch Realität, und darüber sollst du dich heute einfach freuen, auch wenn dir gar nicht danach ist.
Möge diese Frohe Botschaft uns ein wenig Frieden bringen, uns trösten, uns ermutigen, daran zu glauben, dass wir nie ohne seine Liebe und Nähe sind und sein werden.
Das wünsche ich uns heute und in jeder Minute unseres Lebens. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)