(Röm 8, 19–26; Mt 5, 3–12)
Liebe Schwestern und Brüder,
als ich unlängst von Sevilla nach München zurückflog, bewunderte ich die Wolken, die unter mir waren. Mir wurde plötzlich klar, dass auch Wolken keine Selbstverständlichkeit sind und dass sie vor allem für uns zum Segen werden, wenn aus ihnen ersehnte Wassertropfen fallen. Der Erntedanksonntag will in uns eine Haltung stärken, die geradezu überlebensnotwendig und gesundheitsförderlich ist. Es ist jene Haltung, die in dem Wort zum Ausdruck kommt, das unseren sonntäglichen Gottesdienst bezeichnet, nämlich das griechische Wort „Eucharistie“, das man mit „Danke sagen“ übersetzen kann. Nimmt man es wortwörtlich, dann bedeutet „eu“ = gut und „charis“ = Gnade oder Gabe. In einer Eucharistiefeier danken wir also zunächst einmal für die gute Gabe der bedingungslosen und unbegreiflichen Liebe Gottes, die in Jesus von Nazareth Gottes leuchtendes Angesicht geworden ist. Bei allen Mühen, die Menschen für das Ernten dürfen aufbringen, ist doch das Wachsen und Gedeihen trotzdem ein unbeschreibliches Geschenk. Was es bedeutet, wenn sich z.B. keine Wolken bilden, aus denen sogar der Segen von Wassertropfen fallen, das spüren wir auch gerade hier in Brandenburg seit einigen Jahren in besonderer Weise.
Wenn Menschen die Natur nur noch so gewinnbringend wie möglich ausbeuten, dann haben sie nicht nur die Dankbarkeit, sondern auch die Liebe und das Wissen um die Verbundenheit von allem verloren. Und das ist wahrlich lebensgefährlich. Für Menschen, die zu glauben versuchen und sich „religiös“ nennen, verletzt eine solche Haltung auch das Geheimnis Gottes, der der Ursprung von allem ist und dessen Geschöpfe eine „Spur der Liebe Gottes“ sind, wie der hl. Johannes vom Kreuz einmal sagte.
Der Erntedanksonntag möge also in allen Menschen, die ihn feiern, die Dankbarkeit zum Blühen bringen, eine Dankbarkeit, die heilsam für Menschen, Tiere und Pflanzen, ja, für die ganze Schöpfung ist. Dankbarkeit wird so zu einem gewachsenen Zeichen von Liebe, die sich wieder demütig in die Reihe der Geschöpfe stellt und nicht über sie. Vor allem aber wird die ganze Schöpfung zum Sakrament der Liebe Gottes, für das wir eben nur danken können. Aber der Dank drängt natürlich zum Wiederlieben, und das tut auf Dauer der gesamten Schöpfung gut, von der der Mensch ein Teil ist. Wo das also geschieht, wird Schöpfungsglaube ernst genommen und Gott selber in seiner Schöpfung wirklich geliebt. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)