Fest der Tau­fe Je­su (09.01.2022)

(Jes 42, 5a.1–4.6–7; Apg 10, 34–38; Lk 3, 15–16.21–22)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
ich mag die­ses Fest der Tau­fe des Herrn im­mer mehr. Es ist ge­nau­so re­vo­lu­tio­när wie Weih­nach­ten und fal­tet in ei­nem wich­ti­gen Punkt aus, was Mensch­sein be­deu­tet. Es scheint ei­ne weit ver­brei­te­te Krank­heit zu sein, in­di­vi­du­ell, ge­sell­schaft­lich wie re­li­gi­ös, Mensch­sein zwar grund­sätz­lich zu be­ja­hen, ja Men­schen­rech­te zu un­ter­strei­chen, für sie ein­zu­tre­ten und sie ein­zu­for­dern. Aber das Men­schen­recht, ein be­grenz­ter und feh­ler­haf­ter Mensch sein zu dür­fen, das wird uns all­täg­lich oft ver­wei­gert. Statt­des­sen müs­sen wir per­fekt und mög­lichst feh­ler­frei funk­tio­nie­ren, im­mer gut und cool drauf sein und im­mer al­les rich­tig ma­chen. Wenn nicht, dann tun wir uns schwer da­mit, es zu­zu­ge­ben und ar­bei­ten das ger­ne dann an an­de­ren ab, pri­vat, re­li­gi­ös, ge­sell­schaft­lich oder staat­lich. Welch‘ völ­lig an­de­re Spur legt da lie­be­voll Gott sel­ber, nicht nur an Weih­nach­ten, son­dern auch mit die­sem Fest heu­te. Zum Evan­ge­li­um passt dar­um die ers­te Le­sung aus dem Buch Je­sa­ja her­vor­ra­gend. Die­ser sog. „Knecht“ wird von Gott her im Evan­ge­li­um „ge­lieb­ter Sohn“ ge­nannt, wie je­der und je­de von uns sein ge­lieb­ter Sohn, sei­ne ge­lieb­te Toch­ter, ist und bleibt, vor al­lem dann, wenn wir end­lich den Mut ha­ben, uns in die Schlan­ge de­rer ein­zu­rei­hen, die be­reit sind, ih­re Gren­zen und Feh­ler, ja viel­leicht so­gar ihr Ver­sa­gen, of­fen zu be­ken­nen. Die Tau­fe Je­su er­mu­tigt uns, uns nicht im Thea­ter spie­len zu ver­zet­teln, nicht so vie­le und bes­te Le­bens­en­er­gien dar­auf zu ver­wen­den, als das be­rühm­te Un­schulds­lamm zu er­schei­nen. Nein, es ist ge­ra­de­zu heil­sam und so­li­da­risch und ein Zei­chen le­ben­di­gen und rei­fen Glau­bens, vor sei­nen Ecken, Kan­ten und Feh­lern nicht da­von­zu­lau­fen, sie nicht an an­de­ren zu be­kämp­fen und gna­den­los zu kri­ti­sie­ren. War­um? Weil es uns Gott er­laubt! Weil wir in die­ser Art des Mensch­seins sei­ne ge­lieb­ten Töch­ter und Söh­ne sind. Das wird uns in der ei­ge­ne Tau­fe zei­chen­haft er­fahr­bar ge­macht. Das ist un­ser ers­tes Zeug­nis für Gott, das wir zu ge­ben ha­ben, das Je­sus heu­te in die­sem Fest gibt. Wer die­ses Mensch- und Mensch­lich­sein an­nimmt und lebt, hat sich wirk­lich lieb, wird wie der Knecht in der 1. Le­sung sein: er schreit nicht und lärmt nicht, das ge­knick­te Rohr zer­bricht er nicht, den glim­men­den Docht löscht er nicht aus, blin­de Au­gen wird er öff­nen, Ge­fan­ge­ne aus den Ker­kern der Selbst­über­schät­zung ho­len und die im Dun­keln sit­zen aus der Haft be­frei­en. Mö­ge doch Gott die­sen, sei­nen Geist auf uns le­gen und auf vie­le Men­schen, Völ­ker, Na­tio­nen und Re­li­gio­nen. Mö­ge uns al­len die­se tröst­li­che und er­mu­ti­gen­de Er­fah­rung ge­schenkt sein. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)