(Jes 42, 5a.1–4.6–7; Apg 10, 34–38; Lk 3, 15–16.21–22)
Liebe Schwestern und Brüder,
ich mag dieses Fest der Taufe des Herrn immer mehr. Es ist genauso revolutionär wie Weihnachten und faltet in einem wichtigen Punkt aus, was Menschsein bedeutet. Es scheint eine weit verbreitete Krankheit zu sein, individuell, gesellschaftlich wie religiös, Menschsein zwar grundsätzlich zu bejahen, ja Menschenrechte zu unterstreichen, für sie einzutreten und sie einzufordern. Aber das Menschenrecht, ein begrenzter und fehlerhafter Mensch sein zu dürfen, das wird uns alltäglich oft verweigert. Stattdessen müssen wir perfekt und möglichst fehlerfrei funktionieren, immer gut und cool drauf sein und immer alles richtig machen. Wenn nicht, dann tun wir uns schwer damit, es zuzugeben und arbeiten das gerne dann an anderen ab, privat, religiös, gesellschaftlich oder staatlich. Welch‘ völlig andere Spur legt da liebevoll Gott selber, nicht nur an Weihnachten, sondern auch mit diesem Fest heute. Zum Evangelium passt darum die erste Lesung aus dem Buch Jesaja hervorragend. Dieser sog. „Knecht“ wird von Gott her im Evangelium „geliebter Sohn“ genannt, wie jeder und jede von uns sein geliebter Sohn, seine geliebte Tochter, ist und bleibt, vor allem dann, wenn wir endlich den Mut haben, uns in die Schlange derer einzureihen, die bereit sind, ihre Grenzen und Fehler, ja vielleicht sogar ihr Versagen, offen zu bekennen. Die Taufe Jesu ermutigt uns, uns nicht im Theater spielen zu verzetteln, nicht so viele und beste Lebensenergien darauf zu verwenden, als das berühmte Unschuldslamm zu erscheinen. Nein, es ist geradezu heilsam und solidarisch und ein Zeichen lebendigen und reifen Glaubens, vor seinen Ecken, Kanten und Fehlern nicht davonzulaufen, sie nicht an anderen zu bekämpfen und gnadenlos zu kritisieren. Warum? Weil es uns Gott erlaubt! Weil wir in dieser Art des Menschseins seine geliebten Töchter und Söhne sind. Das wird uns in der eigene Taufe zeichenhaft erfahrbar gemacht. Das ist unser erstes Zeugnis für Gott, das wir zu geben haben, das Jesus heute in diesem Fest gibt. Wer dieses Mensch- und Menschlichsein annimmt und lebt, hat sich wirklich lieb, wird wie der Knecht in der 1. Lesung sein: er schreit nicht und lärmt nicht, das geknickte Rohr zerbricht er nicht, den glimmenden Docht löscht er nicht aus, blinde Augen wird er öffnen, Gefangene aus den Kerkern der Selbstüberschätzung holen und die im Dunkeln sitzen aus der Haft befreien. Möge doch Gott diesen, seinen Geist auf uns legen und auf viele Menschen, Völker, Nationen und Religionen. Möge uns allen diese tröstliche und ermutigende Erfahrung geschenkt sein. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)