Hoch­fest der Auf­nah­me Ma­ri­ens in den Him­mel (15.08.2021)

(1 Sam 2, 1–2.4–8; Offb 21, 1–5a; Lk 1, 39–56)

Lie­be Schwes­tern und Brü­der,
vie­le Glau­bens­sät­ze las­sen sich aus der Hei­li­gen Schrift her­lei­ten. Das gilt für das heu­ti­ge Hoch­fest nicht. Da sucht man ver­geb­lich. Am Bei­spiel Ma­ri­ens wird für uns al­le fest­ge­hal­ten, was un­se­re Hoff­nung ist: näm­lich die Voll­endung des ir­di­schen Le­bens durch und bei Gott. Es ist die Über­zeu­gung, dass al­les, wirk­lich al­les, was un­ser ir­di­sches Le­ben aus­macht, in Gott schon jetzt gut auf­ge­ho­ben und im Tod in Gän­ze an sein Herz ge­nom­men ist. Nicht nur ei­ne vom Leib be­frei­te, ewi­ge See­le soll ihr Ziel er­rei­chen, wie es sich viel­leicht der grie­chi­sche Phi­lo­soph Pla­ton vor­ge­stellt hat­te, nein, der gan­ze Mensch in sei­ner gan­zen, un­trenn­ba­ren, leib­see­li­schen Ver­fasst­heit soll voll­endet wer­den. Da­zu ge­hört sei­ne gan­ze, ir­di­sche Ge­schich­te, al­le Freu­de, al­les Leid, al­le (un­er­füll­te) Sehn­sucht und al­le Ent­täu­schung, al­les Ge­lun­ge­ne und al­les Ver­letz­te, al­le Lie­be und al­le schul­dig­ge­blie­be­ne, un­se­re Trä­nen der Trau­er, wie der Freu­de, un­ser Rin­gen und Kämp­fen, un­se­re Sie­ge und Nie­der­la­gen. Von Gott her gibt es ei­ne un­end­li­che Wert­schät­zung un­se­rer ma­te­ri­el­len Ver­fasst­heit, die oft un­se­re in­ne­re zum Aus­druck bringt. Gott hat in Je­sus nicht wi­der­wil­lig „Fleisch an­ge­nom­men“, er hat das Mensch­sein mit Leib und See­le ge­hei­ligt. Sei­ne Mensch­wer­dung, die wir Weih­nach­ten fei­ern, ver­bie­tet es, die leib­lich, ma­te­ri­el­len Di­men­sio­nen un­se­res Le­bens zu­guns­ten ei­ner ein­sa­men, ewi­gen See­le zu ver­ach­ten. Wir ha­ben lan­ge ge­nug so ge­tan, als sei das leib­lich, ma­te­ri­el­le nur ne­ben­säch­lich. Der Kli­ma­wan­del und sei­ne Fol­gen sind nur ei­ne Sei­te der Ge­ring­schät­zung des Leib­li­chen und der Sicht­bar­ma­chung ei­nes Geis­tes, dem nichts mehr hei­lig ist und dem es ein­fach nicht ge­lingt, sich de­mü­tig in die höchst kom­ple­xe Ver­wo­ben­heit al­len Seins ein­zu­fü­gen.
Wenn es Gott am En­de nur um leib­lo­se Geis­tig­keit gin­ge, hät­te Mo­ses das Volk nicht aus Ägyp­ten be­frei­en müs­sen, hät­ten Pro­phe­ten nicht ge­gen Un­ge­rech­tig­keit pro­tes­tie­ren müs­sen, hät­te Je­sus nie­man­den hei­len brau­chen. Aber ge­ra­de die leib­see­li­schen Hei­lun­gen wa­ren für Je­sus Zei­chen für Got­tes Nä­he und sei­nen Wil­len, nicht nur die See­le, son­dern auch den Leib zu ret­ten.
Aber un­se­re Au­gen se­hen doch am En­de, was mit un­se­rer Leib­lich­keit pas­siert, wer­den wir jetzt viel­leicht ein­wen­den. Das ist rich­tig, aber un­se­re Au­gen se­hen nie al­les, nie die gan­ze Wahr­heit, nie die gan­ze Kom­ple­xi­tät des Le­bens. Wir soll­ten doch ein Le­ben lang Ver­trau­en ler­nen, nicht nur Gott, son­dern auch uns selbst und das Le­ben grö­ßer glau­ben, als es uns je­mals ein­sich­tig wer­den könn­te, was im­mer kom­plett ein­sei­tig wä­re.
Ich will je­den­falls dar­an glau­ben, dass das Le­ben grö­ßer als mei­ne Ein­sicht ist, als al­les Ver­ständ­li­che und Er­klär­ba­re. Ich glau­be dar­an, dass es ei­nen neu­en Him­mel und ei­ne neue Er­de ge­ben wird, auch wenn ich nicht weiß, wie das aus­se­hen soll.
Das al­les „se­he“ ich heu­te, wenn ich mich dar­über freue, dass un­se­re Schwes­ter Ma­ria mit Leib und See­le in Got­tes Him­mel voll­endet wur­de. Ich ver­ste­he es nicht, aber es ist mei­ne Hoff­nung für mich, für uns und die gan­ze Schöp­fung. Amen.

(P. Tho­mas Röhr OCT)