(Hld 2, 8–14; Gal 4, 4–7; Lk 1, 39–56)
Liebe Schwestern und Brüder,
unsere Ordensfamilie des Karmel feiert heute das „Hochfest Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel“. Von Anfang an sahen die ersten Einsiedler am Berg Karmel im 12./13. Jahrhundert Maria als ihre Schwester im Glauben und in ihrer kontemplativen Lebensweise. Biblische Hinweise auf Maria sind spärlich. Die Evangelisten haben kein erstes Interesse an historischen Fakten, vielmehr an dem Menschen und der Frau Maria. Schon im 2. Testament wird Maria zum Prototyp eines Menschen, der offen ist für Gott und seinem Geist, der eine Gottesschwangerschaft in jedem Menschen bewirken will. Alles wirkliche Leben beginnt in uns selber und ist immer ein Geschenk des göttlichen Geistes. Wer mit Gott schwanger geht, geht mit der Liebe schwanger, die immer und zu jeder Zeit geboren werden will.
Der Glaube Mariens ist nicht Einsicht, sondern Zustimmung zu Gottes Verheißungen, die oft alles Begreifen übersteigen. Die Liebe zu Gott zeigt sich da, wo wir der Liebe Gottes keine Grenzen setzen, wo wir ihm erlauben, scheinbar Unmögliches zu tun. Ein Glaube, der nur das Vorstellbare glaubt, ist eher mangelhaft. Maria glaubt bedingungslos und wird bedingungslos geliebt und geht mit dieser Liebe Gottes schwanger.
Ihre Verwandte Elisabeth teilt diese Erfahrung mit Maria, was die beiden tiefer verbindet als alle Blutsverwandtschaft. Beide sind selig, weil Gott Leben in Gang gesetzt hat, das unerwartet und unvorstellbar war.
Das Geheimnis Gottes erweist gerade auch in diesen beiden Frauen als Liebhaber all‘ jener, die in der sog. „normalen Welt“ unter die Räder kommen und fast immer die Leidtragenden von Fehlentscheidungen und Machtgier der Mächtigen sind, innerhalb und außerhalb von Religionen.
Maria singt im Magnifikat von der Größe eines Gottes, der auf der Seite der Kleinen steht, der irdische Maßstäbe auf den Kopf stellt und Leben jenen schenken will, die es auf Erden so oft vermissen. Immer aber soll aller Glaube, alle Religiosität, zur Liebe werden, die im wahrsten Sinne des Wortes Leben schenkt und ermöglicht, Leben gebiert und Leben beschützt.
Ob die Karmeliten damals Maria so gesehen haben, wie eben geschildert, sei dahingestellt. Jede Zeit und jeder Mensch interpretiert sich in Menschen hinein, die einem wichtig sind und Orientierung geben.
Wir Karmeliten jedenfalls sehen Maria als Hörende, als Nachdenkende, als Stille, als Gottoffene. Mehr auf diesem Weg und auf diese Weise wollen wir mit dem schwanger gehen, was am Ende alle, in welchen Lebensformen auch immer, gebären sollen: nämlich ein bisschen Liebe zu Gott, zu unseren Mitgeschöpfen und zu uns selber als bedingungslos und unendlich Geliebte.
Das jedenfalls ist in dem sichtbar, spürbar und erfahrbar geworden, den uns Maria geboren und geschenkt hat: Jesus, unser Bruder und Freund. Amen.
(P. Thomas Röhr OCD)