(Jes 56, 1.6+7; Röm 11, 13–15.29–32; Mt 15, 21–28)
Liebe Schwestern und Brüder,
weit weg erscheinen die biblischen Texte von unserer Wirklichkeit heute. Und doch sind sie aktuell, wollen sie aus religiöser Enge befreien und von der Versuchung, Identität durch Abgrenzung zu begründen, was wiederum nicht selten mit Abwertung der anderen einhergeht. Wie heute, so gab und gibt es immer in allen Religionen verschiedene Strömungen, die manchmal kaum zueinander passten und passen. Die einen grenzen ab, die anderen nicht. Wieder andere legen großen Wert auf kultische Korrektheit, auf Lehre und Einhaltung von Gesetzen. Denen gegenüber stehen jene, die eher die soziale Dimension des Glaubens betonen. Ein Beispiel dafür ist der Text aus dem Buch Jesaja. Aufgrund der unterschiedlichen Zeithintergründe der Texte in dem Jesajabuch sind sich die Forscher einig, dass es drei Jesajagruppen in unterschiedlichen Zeiten gegeben haben muss. Es gibt den Jesaja, der vor dem Exil schrieb, es gibt den Deuterojesaja, der im Exil schrieb (ab Kapitel 40) und es gibt den Tritojesaja, also eine dritte Gruppe von JesajaschülerInnen, die nach dem babylonischen Exil einzuordnen sind, also in das frühe 6. Jahrhundert v.Ch..
Geradezu revolutionär ist ihre Überzeugung, Zugehörigkeit zu Gott nicht an kultischen Vorschriften festzumachen, nicht an der Zugehörigkeit zu einem erwählten Volk, sondern an der Einhaltung von Recht und Gerechtigkeit. Kinder Gottes, Töchter und Söhne Gottes, sind die, die Vertrauen (Glauben) und Liebe zu leben versuchen. Die Taufe bestätigt diese Tatsache und schafft sie nicht. Dass die Botschaft Jesu für alle Menschen offen ist, war eine Existenzfrage des jungen Christentums. Paulus spielt darin eine herausragende Rolle.
Im Evangelium erscheint uns Jesus zunächst sehr unbarmherzig und hart. Er ignoriert die Bitte der namenlosen Fremden, weil er meint, nur für eine bestimmte Gruppe gesandt zu sein. Einzig der vertrauensvollen Hartnäckigkeit der namenlosen Frau und der Offenheit Jesu für die ungewohnten Wege des Geistes Gottes ist es zu verdanken, dass Jesus sich bekehrt und Gott wieder einmal das Exempel statuieren kann, worum es Ihm geht. Genau das lernt und versteht Jesus an jener Frau, die sogar Jesus selbst abschätzig als „kleinen Hund“ bezeichnet, wie alle genannt wurden, die nicht zu den sog. „Auserwählten“ gehörten. Was Gottes Kinder also miteinander verbindet, egal, wo und wie sie sich selber verwurzeln, das ist Vertrauen und Liebe. Darauf gründet sich christliche Identität und in dem barmherzigen, liebevollen Geheimnis Gottes.
Alle religiösen Wege, Methoden und Übungen sollen zu diesen Haltungen führen und sie bestärken. Tun sie es nicht, haben sie vor Gott keinen Wert. Diese Haltungen sind dann jene Identität, die uns Menschen verbindet, auch mit unseren Mitgeschöpfen und mit unserer Mutter Erde, die wir nicht nur um unseretwillen und zukünftiger Generationen bewahren wollen und sollen. Diese Werte sind das Fundament für Frieden und Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung. Dafür brauchen wir die Kraft des Geistes Gottes, der uns und möglichst viele Menschen mit seinem Feuer entzünden und mit seinem Lebensatem erfüllen möge. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)