(Jer 20, 7–9; Röm 12, 1–2; Mt 16, 21–27)
Liebe Schwestern und Brüder,
Propheten sind keine Wahrsager, noch Zukunftsforscher. Sie sind auch keine Moralpolizisten und auch keine Präfekten von Glaubenskongregationen. Propheten sind zunächst ganz normale Menschen, die aber von Gott gepackt und überwältigt wurden. So jedenfalls lesen wir es bei Jeremia (Jer 20, 7). Ihre Aufgabe ist es, gegen den Strom zu schwimmen, gegen den Strich zu bürsten, nicht nachzuplappern, was alle sagen, was man halt so denkt und tut. Sie reden nicht nach irgendjemandes Mundes, sondern werden selbst zum Mund Gottes für alle Lebensbereiche: Staat, Gesellschaft, Religion etc. Sie rufen nicht zuerst zum Gebet auf, zu mehr und strengerem, religiösen Tun, nein, sie rufen nach mehr Liebe, und zwar ganz konkret.
Meistens ist es Gott selber, der stört und ruft, wenn „Gewalt und Unterdrückung“ (V8) normal geworden sind, politisch, wirtschaftlich, finanziell, religiös, ökologisch…Aber es gibt zu viele, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Es ist noch nicht lange her, da prophezeite man, dass nichts mehr so sein wird, wie es mal war. Aber es geht dann doch weiter, wie es war, zumindest scheint es vordergründig so. Denn im Kleinen wirkt doch Gott schon viele Wunder, gibt es viele Menschen mit einem neuen Denken, Fühlen und Tun (Röm 12, 2). Einer von denen war Jeremia, war Jesus von Nazareth. Jesus war der letzte, der vor allem zur Leidens- und Kreuzesnachfolge aufrief. Er rief zum Leben auf, zum Frei-werden, zum Heil-werden, zum Ganz-werden, zum Mensch werden, zum Töchter und Söhne Gottes werden. Er rief zum Abba-Gott auf und nicht zu jenem Gott, der nur den Status Quo von Gewalt und Unterdrückung, von Unbarmherzigkeit und Lieblosigkeit religiös zementiert und rechtfertigt. Er wusste, dass die Praxis und der Vorrang der Liebe in allem für manche gefährlich werden würde, auch für religiöse Autoritäten. Konsequent zu sein, hat manchmal unangenehme Konsequenzen. Das hatte Petrus noch nicht begriffen, denn Menschen wollen eher eine Karriere nach oben als nach unten. Und niemand kann nur sein eigenes Leben retten. Leben gibt es nur gemeinsam und füreinander.
Es ist wirklich nicht leicht, angesichts sog. „Realitäten“ in Kategorien der Liebe zu denken, zu fühlen und zu handeln. Es ist wirklich nicht leicht und auch nicht richtig, Gott immer nur loben und preisen zu müssen, so als gäbe es nicht starke Gründe zu klagen und auch anzuklagen. Das nenne ich ehrliches Beten. Aber die Alternative heißt eben nicht „Welt oder Gott“, sondern das Trotzdemvertrauen, das Trotzdemlieben nicht aufzugeben, wie es Jeremia einige Zeilen weiter formuliert: „Doch der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held“ (V11). Das möge auch unsere Erfahrung sein, wenn wir immer wieder neu versuchen, Gottes Denken, Fühlen und Handeln zu wagen. Das bedeutet Mitdenken, Mitfühlen, Mitlieben. Amen.
P. Thomas Röhr OCT