(Jes 5, 1–7; Phil 4, 6–9; Mt 21, 33–44)
Liebe Schwestern und Brüder,
Christen, die gerne im Ersten Testament nur einen zornigen Gott sehen wollen, könnten sich mit der Lesung aus dem Buch Jesaja bestätigt sehen. Sie wären vielleicht froh, dass das Zweite Testament „Evangelium“, „Frohe Botschaft“, heißt. Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass auch im Zweiten Testament nicht jede Zeile so froh ist, wie man das gerne erträumt. Ein Beispiel dafür ist das heutige Evangelium vom Weinbergsbesitzer, der ziemlich naiv agiert und am Ende die sog. „bösen Menschen“ vernichtet. Allzu heftig unterscheidet sich also dieses Gleichnis vom „Weinberglied“ des Jesaja nicht. Wie gehen wir also damit um, ohne uns im eigenen Wunschdenken einzubetonieren?
Das erste ist immer, einfach ehrlich zu bleiben und die Widersprüchlichkeit zur Kenntnis zu nehmen und anzuerkennen. Das zweite ist genauso wichtig wie das erste, nämlich die Frage zu stellen, was die Verfasser eigentlich sagen wollten, auch wenn es selbst darauf nicht unbedingt einfache Antworten gibt. Die Professorin für das Erste Testament Silvia Schroer hat in einem Kurzkommentar zu dem Weinberglied des Jesaja die Überschrift gewählt „Gottes Liebeskummer“. Damit trifft sie sehr schön, vor allem um Gottes willen, die Kernaussage. Auch wenn es manchmal unbegreiflich ist, warum Gott ausgerechnet wegen uns Liebeskummer haben soll, ist er tatsächlich der berühmte „rote Faden“ der gesamten Heiligen Schrift. Gott hat Liebeskummer nach unserer Liebe, nach unserem Vertrauen, nach unserer Menschlichkeit. Viele unbekannte und scheinbar unbedeutende Menschen haben diese Liebe in sich. Prophetische Kritik richtet sich oft und vor allem an die religiösen und politischen Eliten, die reich und mächtig geworden, nicht selten arm an Liebe, Solidarität und sozialer Verantwortung geworden sind. Diese Früchte aber erhoffte und erhofft Gott, „Er hoffte auf Rechtsspruch – doch siehe da: Rechtsbruch, auf Rechtsverleih – doch siehe da: Hilfegeschrei“ (Jes 5, 7). Menschliche Bibelverfasser können sich verletzte (männliche) Liebe nicht anders vorstellen als zornig und abweisend. Und wenn wir ehrlich bleiben wollen: wir gewöhnlich auch nicht. Oder haben wir nicht auch schon so gefühlt, so reagiert bei verletzter und verschmähter Liebe?
Zorn und Strafmaßnahmen Gottes sind keine Wesensmerkmale Gottes. Sie sind menschliche Reaktionen auf verletzte Liebe, aber keine göttliche Reaktion. Denn die göttliche ist das Kreuz, Zeichen für den gekreuzigten Liebeskummer Gottes. Wenn wir heute also etwas gegen den Liebeskummer Gottes tun wollen, dann wollen wir ihm weder im Ersten, noch im Zweiten Testament Böses unterstellen. Wir wollen Verständnis für die menschlich ausgedrückte, verletzliche Liebe haben. Vor allem aber lasst uns an der Liebe festhalten in allen Bereichen des menschlichen Lebens. „Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird unsere Herzen und unsere Gedanken in Christus Jesus bewahren“ (Phil 4,7). „Und der Gott des Friedens wird mit uns sein“ (V9). Amen.
P. Thomas Röhr OCT