Pre­digt zum 27. Sonn­tag im Jah­res­kreis A (04.10.2020)

(Jes 5, 1–7; Phil 4, 6–9; Mt 21, 33–44)

Pre­digt von P. Tho­mas Röhr OCT — Audioversion

Lie­be Schwes­tern und Brüder,

Chris­ten, die ger­ne im Ers­ten Tes­ta­ment nur ei­nen zor­ni­gen Gott se­hen wol­len, könn­ten sich mit der Le­sung aus dem Buch Je­sa­ja be­stä­tigt se­hen. Sie wä­ren viel­leicht froh, dass das Zwei­te Tes­ta­ment „Evan­ge­li­um“, „Fro­he Bot­schaft“, heißt. Doch bei ge­naue­rem Hin­se­hen fällt auf, dass auch im Zwei­ten Tes­ta­ment nicht je­de Zei­le so froh ist, wie man das ger­ne er­träumt. Ein Bei­spiel da­für ist das heu­ti­ge Evan­ge­li­um vom Wein­bergs­be­sit­zer, der ziem­lich na­iv agiert und am En­de die sog. „bö­sen Men­schen“ ver­nich­tet. All­zu hef­tig un­ter­schei­det sich al­so die­ses Gleich­nis vom „Wein­berg­lied“ des Je­sa­ja nicht. Wie ge­hen wir al­so da­mit um, oh­ne uns im ei­ge­nen Wunsch­den­ken ein­zu­be­to­nie­ren?
Das ers­te ist im­mer, ein­fach ehr­lich zu blei­ben und die Wi­der­sprüch­lich­keit zur Kennt­nis zu neh­men und an­zu­er­ken­nen. Das zwei­te ist ge­nau­so wich­tig wie das ers­te, näm­lich die Fra­ge zu stel­len, was die Ver­fas­ser ei­gent­lich sa­gen woll­ten, auch wenn es selbst dar­auf nicht un­be­dingt ein­fa­che Ant­wor­ten gibt. Die Pro­fes­so­rin für das Ers­te Tes­ta­ment Sil­via Schroer hat in ei­nem Kurz­kom­men­tar zu dem Wein­berg­lied des Je­sa­ja die Über­schrift ge­wählt „Got­tes Lie­bes­kum­mer“. Da­mit trifft sie sehr schön, vor al­lem um Got­tes wil­len, die Kern­aus­sa­ge. Auch wenn es manch­mal un­be­greif­lich ist, war­um Gott aus­ge­rech­net we­gen uns Lie­bes­kum­mer ha­ben soll, ist er tat­säch­lich der be­rühm­te „ro­te Fa­den“ der ge­sam­ten Hei­li­gen Schrift. Gott hat Lie­bes­kum­mer nach un­se­rer Lie­be, nach un­se­rem Ver­trau­en, nach un­se­rer Mensch­lich­keit. Vie­le un­be­kann­te und schein­bar un­be­deu­ten­de Men­schen ha­ben die­se Lie­be in sich. Pro­phe­ti­sche Kri­tik rich­tet sich oft und vor al­lem an die re­li­giö­sen und po­li­ti­schen Eli­ten, die reich und mäch­tig ge­wor­den, nicht sel­ten arm an Lie­be, So­li­da­ri­tät und so­zia­ler Ver­ant­wor­tung ge­wor­den sind. Die­se Früch­te aber er­hoff­te und er­hofft Gott, „Er hoff­te auf Rechts­spruch – doch sie­he da: Rechts­bruch, auf Rechts­ver­leih – doch sie­he da: Hil­fe­ge­schrei“ (Jes 5, 7). Mensch­li­che Bi­bel­ver­fas­ser kön­nen sich ver­letz­te (männ­li­che) Lie­be nicht an­ders vor­stel­len als zor­nig und ab­wei­send. Und wenn wir ehr­lich blei­ben wol­len: wir ge­wöhn­lich auch nicht. Oder ha­ben wir nicht auch schon so ge­fühlt, so re­agiert bei ver­letz­ter und ver­schmäh­ter Liebe?

Zorn und Straf­maß­nah­men Got­tes sind kei­ne We­sens­merk­ma­le Got­tes. Sie sind mensch­li­che Re­ak­tio­nen auf ver­letz­te Lie­be, aber kei­ne gött­li­che Re­ak­ti­on. Denn die gött­li­che ist das Kreuz, Zei­chen für den ge­kreu­zig­ten Lie­bes­kum­mer Got­tes. Wenn wir heu­te al­so et­was ge­gen den Lie­bes­kum­mer Got­tes tun wol­len, dann wol­len wir ihm we­der im Ers­ten, noch im Zwei­ten Tes­ta­ment Bö­ses un­ter­stel­len. Wir wol­len Ver­ständ­nis für die mensch­lich aus­ge­drück­te, ver­letz­li­che Lie­be ha­ben. Vor al­lem aber lasst uns an der Lie­be fest­hal­ten in al­len Be­rei­chen des mensch­li­chen Le­bens. „Und der Frie­de Got­tes, der al­les Ver­ste­hen über­steigt, wird un­se­re Her­zen und un­se­re Ge­dan­ken in Chris­tus Je­sus be­wah­ren“ (Phil 4,7). „Und der Gott des Frie­dens wird mit uns sein“ (V9). Amen.

P. Tho­mas Röhr OCT