(Weish 6, 12–16; 1 Thess 4, 13–18; Mt 25, 1–13)
Liebe Schwestern und Brüder,
wie wir heute alle wissen, ist die Bibel nicht einfach vom Himmel gefallen. Noch hat sie eine Person nach göttlichem Diktat aufgeschrieben, wie z.B. die Bezeichnung „Bücher des Mose“ oder „Psalmen Davids“ vermuten lassen. Bei dem Buch Jesaja kennt man drei Gruppen, die in verschiedenen Zeiten gelebt und Bibel weitergeschrieben bzw. aktualisiert haben. Die Geschichte der Bibel ist also eine lange, oft komplizierte, die zudem meistens Teamarbeit war. Dabei waren die biblischen Schriftsteller durchaus kreativ und innovativ, indem sie vorhandene Texte, wie bei Jesaja schon erwähnt, weiterschrieben bzw. aktualisierten.
Das Buch der Weisheit z.B. ist im ägyptischen Alexandria entstanden, in einer multikulturellen Umgebung. Man versuchte den jüdischen Glauben verständlich zu machen und scheute sich dabei nicht, die „Frau Weisheit“ in vielen Aspekten der ägyptischen Weisheitsgöttin Maat sowie der Göttin Isis ähnlich sein zu lassen. Die biblische Weisheit aber war und ist kein elitäres Geheimwissen, das nur einer bestimmten Gruppe vorbehalten war. Denn sie sitzt vor der Türe und kann von jedem gefunden werden (V14). Die einzige Voraussetzung, sie zu finden, ist die offene Sehnsucht, sie finden zu wollen. Sie ist nicht einfach erworbenes Studiumwissen, sie ist nicht automatisch mit akademischen Graden mitgegeben, nein, die Weisheit entscheidet selbst, wem sie „mit der Tür ins Haus fallen“ will (V13/16).
Auch, wenn das in der 1. Lesung heute nicht ausdrücklich gesagt ist, so ist Weisheit keine bloße Angelegenheit des Kopfes, sondern vor allem des Herzens, das den Menschen drängt, Wege der Gerechtigkeit Gottes zu suchen und zu gehen.
Auch das Gleichnis aus dem Evangelium ist eine Antwort des Evangelisten auf die drängende Frage der ersten Christengenrationen, warum das Reich Gottes so lange auf sich warten lässt. Denn die Naherwartung des Reiches Gottes war groß, die Enttäuschung über das Ausbleiben auch, vielleicht sogar bis heute. In diesem Gleichnis ist es weise, innerlich wach zu bleiben und das Öl des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe nicht ausgehen zu lassen. Es ist weise, zu verstehen und zu leben, dass ich meinen Glauben, mein Leben, mein Lieben nicht an andere delegieren kann. Bei aller Liebe zum Teilen ist meine Eigenverantwortung nicht teilbar, ich muss sie ganz und gar selbst übernehmen.
Aber es geht hier nicht um Panik- oder Angstmache, sondern um ein Leben, das in der Liebe und im Vertrauen zu Gott Halt und Zuversicht findet. Wir müssen keine Tage und Stunden wissen, sondern immer wieder neu mit Gottes Hilfe Vertrauen und Liebe wagen.
Da keiner weiß, wie es ihm am Ende wirklich gelungen sein wird, so glaube ich trotzdem fest daran, dass der Bräutigam zu keinem sagen wird: „Ich kenne dich nicht!“, weil er jedem wenigstens ein bisschen Glaube, Hoffnung und Liebe ins Herz gegeben haben wird. Amen.
(P. Thomas Röhr OCT)