(Apg 2,14a.36–41; Ps 23,1–3.4.5.6; 1 Petr 2,20b-25; Joh 10,1–10)
Liebe Schwestern und Brüder,
der vierte Sonntag der Osterzeit ist der sog. „Gute Hirte Sonntag“, weil das Evangelium immer vom „Guten Hirten“ handelt. Zugleich ist dieser Sonntag der „Weltgebetstag um geistliche Berufe“. Nun, berufen geistlich zu leben, sind wir alle. Das bedeutet ja nicht zuerst, bestimmte geistliche Übungen zu praktizieren, sondern sich dem Geist Jesu zu öffnen und sich von ihm bewegen zu lassen. Obwohl ja eigentlich immer irgendwie und irgendwo Krisenzeiten sind, so haben auch sie wohl zwei Seiten. Das Wort „Krise“ leitet sich vom griechischen „krísis“ her und bedeutet „Entscheidung“. Ich kann also entscheiden, ob ich sie als Katastrophe oder als eine Chance sehe. Meistens muss ich sie als beides akzeptieren.
Aber was hat das nun alles mit dem „Gute Hirte Sonntag“ zu tun? Bei allen (krampfhaften) Versuchen, wieder so etwas Ähnliches wie Gottesdienste in Kirchen unter strengen Auflagen zu feiern, sollte man nicht vergessen, dass Gottesdienste nicht nur als Eucharistiefeiern und nicht nur in Kirchen möglich sind. Mussten die Israeliten nach der Zerstörung des Tempels nicht auch ihre alleinige Fixierung auf den Tempel aufgeben und Gottes Gegenwart „in der Fremde“ suchen und neue Formen des Gottesdienstes entdecken?
Vielleicht sind auch wir heute angehalten, es den Israeliten gleich zu tun neu oder überhaupt zum ersten Mal nach Wegen und Ritualen zu suchen, die unsere gemeinsame, geistliche Verantwortung zum Ausdruck bringt?!
Während für unsere Großeltern das Bild vom „Guten Hirten“ ein sehr tröstliches war und ist, ist uns das heute vielleicht fremd geworden. Manchmal frage ich mich, ob und wie unser gemeinsamer Glaube zu Hause noch zum Ausdruck kommt? Ich weiß, dass viele von uns in ihrer Sorge und Liebe füreinander tolle Hirtinnen und Hirten sind. Das vor allem ist schon mal ein guter Gottesdienst im wahrsten Sinne des Wortes und ein Sakrament der Gegenwart des Guten Hirten. Aber trauen wir uns auch, ohne Angst über unsere Erfahrungen mit dem Guten Hirten zu sprechen? Trotz der sog. „tätigen Teilnahme“ der Gläubigen in vielen Gottesdiensten bleiben wir doch oft irgendwie Zuschauer, „religiöse Konsumenten“, und haben verlernt, dass wir alle eine geistliche Berufung haben und selbst Gotteshäuser des Heiligen Geistes, ja, des Geheimnisses Gottes sind. Dieses Gotteshaus ist zwar nicht der Kölner Dom, aber es hat zwei Beine und ist überall da, wo wir gerade sind. Es ist wunderschön, wenn diese „Gotteshäuser auf zwei Beinen“ zusammenkommen, um dieses Wunder miteinander zu feiern, aber es ist eben eine Form von vielen Möglichkeiten, Gottesdienste zu feiern und seine Berufung, eine Wohnung Gottes zu sein, zu leben.
Als Antwortpsalm nach der 1.Lesung ist heute der Psalm 23 vorgesehen. Für viele ist dieser Psalm zu einem der wichtigsten Gebete geworden, die uns die hebräische Bibel, also das heilige Buch der Juden, geschenkt hat.
Es könnte ein schöner Gottesdienst sein, über die Worte des Psalms gemeinsam oder alleine betend zu meditieren. Man könnte auch versuchen, ihn mit eigenen Worten und vertrauen Bildern in das eigene Leben hinein zu aktualisieren. Lassen wir doch diesen wunderbaren Gott in unseren Herzen und in unseren Leben Hirte sein. Verbauen wir uns nicht die Kraft dieses Psalms für unser Leben, weil wir weder etwas mit „Hirte“, noch mit dem Schafsein anfangen können. Hauptaussage ist eine vertraute, warme, tiefe Beziehungsebene, die wir in diesen Zeiten gerade zwischenmenschlich so schmerzlich vermissen, (und darum oft auch den Guten Hirten). Aber der Gute Hirte will mir trotzdem immer und überall Gutes, er will Ruhe für die Unruhe meines Herzens, „meine Lebenskraft bringt er zurück“ (Ps 23, 3), wo ich sie in allzu vielen Finsternissen und Unbegreiflichkeiten verloren habe. Welch ein schöner Hoffnungssatz: „Meine Lebenskraft bringt er zurück!“ Der ist wie ein Boot, in das ich mich berge in stürmischer See. Aber noch wichtiger und tragender ist die Erfahrung: „Du bist bei mir!“ (Ps 23, 4). Es ist die ewige und unauslöschliche Zusage des Gottesnamens vom brennenden Dornbusch: „Ich bin da! Ich werde da sein!“ (Ex 3, 14).
Der HERR ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. 2 Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. 3 Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen. 4 Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. 5 Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll ist mein Becher. 6 Ja, Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und heimkehren werde ich ins Haus des HERRN für lange Zeiten.
Psalm 23, Einheitsübersetzung 2016
Vielleicht ist die Krise eine Chance, dies wieder neu zu erfahren mitten im finsteren Tal (Ps 23,4). Vielleicht erfüllt sich mit dieser Krise ein Traum Gottes, dass wir IN IHM wieder ganz neu ein Zuhause finden für lange Zeiten (Ps 23,6). Dann werden sich bestimmt in IHM viele noch mehr zu Guten Hirtinnen und Hirten verwandeln. Um „Wandlung“ geht es doch schließlich immer, ob mit oder ohne Eucharistie. Amen.
Euer / Ihr
Br. Thomas OCD