(Jes 55, 10–11; Röm 8,18–23; Mt 13, 1–23)
Liebe Schwestern und Brüder,
ich glaube nicht, dass Jesus nicht verstanden werden wollte, im Gegenteil. Seine Gleichnisse waren in der Regel aus der Alltäglichkeit des Lebens einfacher Leute entlehnt. Natürlich gab es Menschen, die wollten oder konnten aus verschiedensten Gründen nicht verstehen, und die gibt es heute auch. Aber Jesus wollte und will verstanden werden.
Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir die Gleichnisse Jesu immer in seinem Geist verstehen. Viel zu oft scheint mir, dass wir sie moralisch missbrauchen, um sie anwendbar zu machen. Sogar der Evangelist Matthäus scheint dieser Versuchung zu erliegen, wenn man am Ende „die Moral von der Geschicht“ erklärt bekommt. Es sind möglicherweise Versuche zu erklären, warum der Erfolg der Verkündigung Jesu am Ende doch recht bescheiden ausfiel. Vielleicht hat das ja sogar im Herzen von Jesus eine gewisse Enttäuschung erzeugt.
Im Grunde aber ist für mich dieses Gleichnis ein zutiefst positives und ermutigendes. Es war doch jedem Sämann, der den Samen mit der Hand ausstreute, klar, dass nicht alle Körner auf fruchtbarem Boden fallen können. Aber er wusste, dass die meisten Frucht bringen werden. Die Freude darüber steht doch im Vordergrund und nicht der Verlust einiger weniger Körner im Vergleich dazu. So ist es doch in unserem Leben in vielerlei Hinsicht auch: manches gelingt, manches nicht. Und natürlich kann es auch sein, dass mancher am Ende seines Lebens nicht so recht weiß, ob er genügend Samen auf fruchtbaren Boden streuen konnte.
Ich meine, so schlecht ist es ja nicht, wenn die Vögel auch ein paar Körner abbekommen! Vielleicht sollten wir nicht allzu schnell in die Rolle des Sämanns schlüpfen, auch nicht in die Rolle des Korns. Denn letztendlich ist Gott selber der Sämann, der sicher genügend fruchtbaren Boden in uns gefunden haben wird und mit dessen Augen und Blick auf unser Leben wir überrascht auf Früchte schauen dürfen, die unseren Augen verborgen blieben. Warum nicht lernen, den Blick zu ändern, nämlich weg von der Fixierung auf das, was nicht gelungen oder missraten ist, hin zu dem, worüber wir uns von Herzen freuen können?! Und wenn uns das gerade sehr schwerfällt, dann möge Gott uns ein bisschen Seinen Blick schenken. Vertrauen wir einfach auf den Sämann Gottes, der dafür sorgen wird, dass wir mittendrin und am Ende unseres Lebens vor Freude außer uns sind über das, was ER an Früchten hat aufgehen lassen, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach.
Wer Herzohren hat, der höre. Amen.
P. Thomas Röhr OCT