(Jes 9, 1–6; Lk 2, 1–14)
Liebe Schwestern und Brüder,
der heilige Evangelist Lukas verortet die Geburt Jesu in der historischen Geschichte. Kaiser Augustus und Quirinius, der Statthalter von Syrien, sind historische Personen wie Jesus auch. Und in deren Zeit hat sich die Geburt Jesu ereignet. Sie sind also indirekte Zeugen dieses Ereignisses. Dann hört aber schon historisches Faktum auf. Denn in Wirklichkeit hat die Welt die Geburt Jesu verpasst. Was uns der Evangelist Lukas darüber erzählt, ist kein historischer Filmausschnitt, wohl aber eine Glaubenserfahrung, die es in sich hat. Wunderbar ist sie, weil das Geheimnis Gottes weder da auftaucht, wo man es gewöhnlich erwartet, noch wie es geschieht.
Manchmal denke ich, dass der Inhalt der Botschaft von Weihnachten es nicht wirklich in die Praxis geschafft hat, weder in die theologische, noch in die religiöse. Unsere Weihnachtsbräuche sind da auch nicht ganz hilfreich, sonst dürften sich nicht so viele damit schwer tun oder sich einsam fühlen. Theologisch gesehen, gibt es ein krasses Übergewicht von Ostern gegenüber Weihnachten. Freilich erleichtert dies das Feiern von himmlischer Liturgie, das Pochen auf Stellvertreter des österlichen Jesus zu sein, mit entsprechender Macht- und Prachtentfaltung. Legt man diese Folie heute aber wirklich ernsthaft auf das Weihnachtsereignis, dann muss man schon beide Augen zudrücken, um nicht sehen zu müssen, wie weit die tatsächliche Praxis von Weihnachten entfernt ist. Der Maßstab von Weihnachten wird ja nicht einfach von Ostern aufgehoben. Bevor es ein Leben danach gibt, gibt es nämlich ein Leben davor. Und das gilt es im Sinne Gottes und Jesu zu gestalten.
Vor lauter Hallelujamentalität haben wir vergessen, Gott in der Alltäglichkeit des Lebens zu deuten und zu finden.
Jetzt mal ehrlich, würde irgendeiner allen Ernstes glauben, dass das Zeichen der Nähe des größten und unfassbarsten Geheimnisses ein Kind ist, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend? Da steckt so viel Wertschätzung des Alltäglichen drin, des Kleinen, des Unbedeutenden, des Unbeachteten, dass da jeglicher Machtmissbrauch eigentlich ausgeschlossen ist.
Die ersten Adressaten dieser unglaublichen Botschaft sind nicht die wichtigen, offiziellen Religionsvertreter, sondern nicht besonders beliebte Hirten, also heute auch all‘ jene, die es mit unserem Weihnachten schwer haben und die, die sich einsam fühlen, weil sie allein und nicht in Familie sind.
Dieser Jesus wird nicht geboren in einer „ewigen Stadt“, nicht in Trutzburgen von ewigen Wahrheiten und immer schon Gewussten, sondern unterwegs, im Ungewissen, da, wo wir alle sind. Da soll uns Seine Nähe gewiss werden, genau da will das Geheimnis Gottes uns nahe sein, unsere Fixierung auf das Strahlende und Große lösen und unseren Blick auf das Kind lenken, das Kleine, Bedürftige, das sich nach Liebe Sehnende, also auf alles, was wir selber sind.
Weihnachten ist das Programm von Menschwerden, von Menschlichkeit, die Entdeckung des Göttlichen im so ungöttlich Erscheinenden.
Ich wünsche uns und der ganzen Welt den göttlichen Weihnachtsgeist und dass er das praktische Miteinander, auch strukturell, wirklich prägt. Wie hieß es am Ende des Evangeliums? „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ Amen, so sei es!
(P. Thomas Röhr OCT)